Für das achte Studioalbum von Christina Aguilera könnte es gar keinen passenderen Titel geben als „Liberation”. Denn mit dem neuen Longplayer befreit sich die 37-Jährige vom überzogenen Anspruchsdenken, dem sie sich unablässig ausgesetzt sieht. Das Thema „Erwartungshaltung“ zieht sich dabei nicht nur wie ein roter Faden durch ihre bemerkenswerte Karriere, sondern auch durch ihr ganzes Leben.
In ihrer Kindheit hatten sie und ihre Mutter die häusliche Gewalt durch ihren Vater zu ertragen und zu verarbeiten. Später musste sie sich den Beschränkungen entledigen, die ihr das Teenpop-Image eingebrockt hatte, um die kreative Kontrolle über ihren Output zu erlangen. Und der hatte es in sich: ihr Grammy-preisgekröntes Nummer-Eins-Album „Stripped“ erreichte in den USA Vierfach-Platin, das ebenfalls mit einem Grammy ausgezeichnete Album „Back To Basics“ Dreifach-Platin. Und auch in der Gegenwart muss sie sich von jahrelangen Gewohnheiten und Verhaltensmustern frei machen, wenn sie sich z.B. nach ihrer Tätigkeit als „The Voice“-Jurymitglied und als Schauspielerin in diversen Filmen und TV-Shows wieder der Musik zuwenden möchte.
„Ich musste einfach wieder zur Wahrheit zurückkehren“, sagt sie über erstes Album seit „Lotus“ aus dem Jahr 2012. „Ich war festgefahren, habe Dinge unmotiviert und wie im Schlaf erledigt. Dann muss man einen Moment innehalten, nachdenken und sich einmal anschauen, wie es geschehen konnte, dass einem die Leidenschaft abhandengekommen ist und wann man vom Weg abkam. Es ist ein gewaltiger Schritt, von etwas Abschied zu nehmen, das bequem ist. Aber es kann auch sehr befreiend sein, wenn man sagt: ‚Okay, ich bin jetzt ehrlich zu mir selbst. Ich bin wieder dort, wo meine gottgegebene Aufgabe auf dieser Erde ist‘. Ich bin niemand, der alles kommentieren muss. Ich bin eine Künstlerin. Ich bin jemand, der Dinge kreiert. Ich mag es, wenn ich Menschen inspiriere. Und wenn ich aufhöre, an etwas zu glauben, dann muss ich meine Integrität in dieser Situation hinterfragen und an den Ursprung meiner Wahrheit und meiner Aufgabe zurückkehren.“
Fünf Milliarden Streams weltweit, 36 Millionen verkaufte Alben, dreißig Hits in den US Billboard Hot 100 (darunter fünf Nummer-Eins-Hits) und sechs Grammy Awards später ist Christina Aguilera nicht mehr in jener entmündigten Position und ihre Selbstbestimmtheit kommt nun auf „Liberation“ voll zum Tragen. Für die Entstehung und die Aufnahmen der Songs holte sie sich eine ganze Reihe hochkarätiger Kollaborations-Partner ins Studio, darunter Songwriter wie Julia Michaels, Ilsey Juber, Tayla Parx, Justin Tranter und Teddy Geiger, sowie die Produzenten Kanye West, Che Pope, Mike Will Made-It, Anderson.Paak, Jon Bellion, Da Internz, MNEK, Kirby Lauryen, Ricky Reed und Nick Britell (Oscar-nominierten Komponist der Soundtracks zu „Moonlight“ und „The Big Short“), um ihre Vision eines vielseitigen Albums umzusetzen, das ihre Liebe für Soul und HipHop widerspiegelt. „Ich liebe Kollaborationen“, erklärt sie. „Ich denke, es ist auf allen meinen Platten offensichtlich, dass es mir gefällt, kreative Geister um mich zu haben und mit Ideen zu spielen.“
„Liberation” enthält Songs mit optimistischer Message („Maria“, „Fall In Line“), atmosphärische Feelgood-Songs („Accelerate“, „Pipe“, „Sick Of Sittin“) und Beziehungslieder („Twice“, „Masochist“, „Unless It’s With You“, „Deserve“). Die unvorhersehbarsten musikalischen Kehrtwendungen auf dem gesamten Album finden sich wohl in dem Song „Accelerate“ (featuring Ty Dolla $ign and 2 Chainz), das von Kanye West und Che Pope produziert wurde.
„Liberation“ erscheint zu einem einzigartigen Zeitpunkt der Geschichte, an dem Frauen auf der ganzen Welt, die im Rahmen der #metoo-Bewegung offen über Belästigungen und Missbrauch sprechen, endlich Gehör finden. Vor diesem Hintergrund erscheint die kämpferische, ermutigende Hymne „Fall In Line“ ganz besonders vorrausschauend – immerhin schrieb Aguilera den Song bereits vor Jahren. „Es ist mir wichtig, Botschaften zu senden, die inspirieren und andere Menschen aus ihrer dunklen Ecke herausholen und ihnen das Gefühl geben, dass sie auch eine Stimme haben. Der Song war mir deshalb sehr wichtig“, erklärt sie. „Er trägt zur ganzen Stimmung bei und dem Geist, für dich und deine Belange aufzustehen und denjenigen entgegen zu treten, die dir erzählen, dass du keine Rechte hast.“
Der Song, auf dem Superstar Demi Lovato als imposante Gastsängerin zu hören ist, beginnt mit einem Chor junger, weiblicher Stimmen, die verkünden, was sie einmal werden wollen (Drehbuchautor, Journalist, Superheld, Sänger, Doktor, Boss, Präsident) und fordern: „Ich will gehört werden, ich werde gehört werden, ich werde mir Gehör verschaffen“, später im Song ertönt eine unheimliche, männliche Computerstimme und sagt: „Halt die Klappe, streck deinen Hintern raus für mich, wer hat dir gesagt, dass du die Erlaubnis hast zu denken?“. „Der Song enthält definitiv eine ermutigende und motivierende Empowerment-Botschaft, und die ist gerade jetzt sehr wichtig“, sagt Aguilera über „Fall In Line“.
Seitdem sie mit dem Album „Stripped“ ihre eigene kreative Stimme gefunden hat, wollte Christina Aguilera immer jene ansprechen, die „sich auf ihrem Weg etwas verloren fühlen, die von ihrem ursprünglichen Weg abgekommen sind und unsicher sind, was sie tun sollen“, erklärt sie. „Ich wollte nicht nur über meinen Lebensweg sprechen, sondern dies auf eine ehrliche Art und Weise tun, die die Seele anspricht. Jeder hat seine eigene Version von ‚Maria‘ – dieser kleine Träumer in uns, der erst einmal Pause machen muss, wenn Kinder, Arbeit oder Familie Vorrang haben. Ich hoffe deshalb, dass dieses Album für den Hörer eine Art Entdeckung ist, so wie es das für mich war. Dass es Unabhängigkeit und Stärke verleiht, hinaus in die Welt zu gehen und eine ganz persönliche Version von ‚Befreiung‘ zu finden.“